Christian Friese

Geschichte der Spanierin

Unsere edle Lady muß irgendwann um 1600 in Westspanien an der Grenze zu Portugal das Licht der Welt erblickt haben. Wie bei jeder noblen Dame ist das genaue Geburtsdatum trotz intensiver Nachforschungen leider nicht mehr zu eruieren. Da keinerlei Signatur eines Orgelbauers die Zeugung beurkundet, bleibt auch die Elternschaft anonym.Schon im 18.Jahrhundert wurde dem kleinen Instrument, das im Manualbereich eine Oktave höher als ein Klavier erklingt, ein Pedal mit 7 Tasten in normaler 8'-Lage hinzugefügt. Die Manualklaviatur dagegen wurde im obersten Bereich um drei Töne durch einfache Teilung der Tonkanzellen erweitert. Der Blasebalg, der früher im Inneren der Orgel untergebracht war und vom Organisten selbst bedient werden konnte, wanderte nach außen und dürfte schon damals deutlich an Größe gewonnen haben.

Dichtungen der Windkanäle, die mit Papier von spanischsprachigen Zeitungen vorgenommen wurden, zeugen davon, daß die Orgel um1900 noch in Spanien stand.

1980 schließlich entdeckte sie der Dießener Pfarrer Msgr.Heinrich Winterholler bei einem Antiquitätenhändler in Köln. Der kunstsinnige Priester war auf der Suche nach einer kleinen Orgel für seine in altem Gemäuer neu errichtete Sankt-Stephanuskirche und erkannte auf den ersten Blick den Wert des Instrumentes.
Zunächst vermutlich unbespielbar, wurde sie notdürftig instand gesetzt, was ihrem Originalitätsgrad nicht unbedingt zum Vorteil gereichte.

Trotz aller Maßnahmen stellte sich heraus, daß der geringe Tastenumfang und die hohe Basistonlage des Instrumentes den liturgischen Einsatz ausgesprochen schwierig machten. So wurde eine neue Orgel angeschafft, unsere 'alte Dame' wurde ins 'Heim' verfrachtet, was in diesem Fall das ein Stock höher gelegene Kirchenmuseum bedeutete. Dort dämmerte sie unbeachtet und sicherlich gelangweilt vor sich hin, bis 1992 ein neuer Organist in ihr Leben trat.

Dessen Aufmerksamkeit galt, auch zur Freude des Pfarrherrn, nicht nur der großen Orgel des benachbarten Marienmünsters, sondern vor allem der schlafenden, reifen Schönheit im Museum. Der Priester opferte einen stattlichen Geldbetrag aus seiner Privatschatulle, und die Erweckung konnte beginnen.

Die Windladen und die Mechanik waren noch relativ einfach instand zu setzen, aber die Restaurierung des Pfeifenwerkes gestaltete sich schwierig. Besonders die Rekonstruktion des Pfeifenwerkes forderte vom Orgelbauer Jean-Paul Edouard geradezu dedektivischen Spürsinn. Bei vorangegangenen Reparaturen wurden Pfeifen umgesteckt oder einfach entfernt. Diese wieder an ihren angestammten Platz zu bringen oder adäquat zu ersetzen war eines der Hauptprobleme. Da alle Pfeifen aus Metall sind, und von ähnlicher Gestalt, ähneln sie sich wie ein Ei dem anderen. Erst durch die Hinweise von Francis Chapelet, einem anerkannten Experten für alte spanische Orgeln, konnte der Fall geklärt werden.

Als endlich im November 1994 alle Pfeifen an ihrem Platz waren, stellte sich heraus, daß die Windversorgung mit der alten Anlage nicht ausreichte. Und das kurz vor dem Einweihungskonzert! Erst ein abenteuerliches Konstrukt mit einem eilig herangeschafften Ausgleichsbalg ermöglichte den ersten Klangeindruck der, zumindest in Bezug auf Pfeifen und Mechanik, perfekt restaurierten Orgel. So wunderbar das erste Klangergebnis, so eindeutig die Mängel bei der Windversorgung. Auch optisch war die Kombination aus altem Motorgehäuse, Ausgleichsbalg und neuem Motorbehältnis nicht unbedingt ein Gewinn.

Ein historisch originalgetreu rekonstruierter Blasebalg war nun zu beschaffen. Doch wer sollte das bezahlen? Die Mittel das Pfarrers waren diesbezüglich erschöpft, mehrere Spendenaktionen erbrachten nur den sprichwörtlichen Tropfen auf dem heißen Stein. Doch als Retter in der Not erschien plötzlich der Münchner Rotary-Club auf seinem Jahresausflug nach Dießen. Die Nöte des einzigartigen Instruments überzeugten die Mitglieder und mit der folgenden 'Weihnachtsspende' konnte der dringend benötigte Balg in Auftrag gegeben werden.

Die Windversorgung wurde so angelegt, daß sowohl Motor-als auch Handbetrieb möglich sind. Auf der vorliegenden Aufnahme werden beide Varianten deutlich vorgeführt. Durch die nunmehr nahezu perfekte Windzufuhr zeigte sich endlich der - trotz geringer Pfeifenanzahl und niedrigem Winddruck - strahlende und überraschend raumfüllende Klangcharakter des Instrumentes.

Im Rahmen eines Benefizkonzertes für die edlen rotarischen Spender konnte die Restaurierung unserer Kleinorgel am 26.2.1999 endlich würdig abgeschlossen werden.
Seither erhebt unsere spanische Lady zur Freude der Kirchenbesucher nicht nur in Konzerten, sondern auch bei so manchem Gottesdienst ihre kräftige und einzigartige Stimme.